1996 . Requiem
"Non mortem timemus, des cogitationem mortis!"
(Nicht den Tod selbst fürchten wir, sondern die Vorstellung des Todes)
Diese letzten morbiden Worte des alten, sterbenden Bruckners hallen hundertfach in der Kirche wider.
Der Abt bleibt abrupt stehen, schaut tief erschrocken auf Bruckner. Die Kerze flackert kurz ungewöhnlich hell auf und droht danach fast zu erlöschen - taucht die ganze Szenerie in ein unheimlich beklemmendes Licht.
BRUCKNER
schaut zu
Nuntius Mortis, seinem unheimlichen Todesvogel und fabuliert:
"Dabei ist alles so natürlich seine Hochwürden. Erst einmal wird der Körper ganz schwer, man kann sich nicht mehr aufrecht halten, nicht mehr bewegen. Dann trocknen einem die Schleimhäute in Mund, Nase und Luftröhre aus, man bekommt großen Durst, die Gedanken werden nebelig wirr. Dann verliert der Körper nach und nach seine Wärme und es wird immer schwieriger alles um einen herum zu verstehen. Das Atmen wird immer schwerer. Man kann sich nicht mehr bewegen, halluziniert dummes Zeug und verliert schließlich das Bewusstsein. Dann empfindet man eine große innere Ruhe und Zufriedenheit – viele sehen uer Texteinen Tunnel und am Ende weißes Licht – Jesus Christus!"
Er macht eine Pause, dann: "Ja, und da setzt die Atmung aus, das Herz hört auf zu schlagen - das ist dann der körperliche Tod!"
Es folgt eine beklemmend langgedehnte Stille – selbst die Flamme der Kerze scheint sich nicht mehr zu bewegen. Gespenstig still steht die unheimliche Rabengestalt
Nuntius Mortis
auf dem Orgeltisch und starrt Bruckner weiter hypnotisch an. Der Abt hat sich wieder aus dem Lichtkegel der Kerze zurückgezogen. Seine Stimme klingt beschwörend aus dem Halbdunkel.
Bruckner antwortet nicht, beugt sich wie in Trance zur Kerze vor, knetet mechanisch am Wachsrand, zupft so lange am Docht herum, bis die Kerze wieder ordentlich brennt. Vorahnend hebt er den Kopf und horcht ...
... tatsächlich: Die Turmuhr schlägt sechs Mal an.
Bruckner greift in die linke Bauchtasche seiner Weste und zieht an der silbernen Kette seiner Taschenuhr, klappt das Gewerk auf und vergleicht die Zeit. Aus Gewohnheit dreht er ein paar Mal an der Aufziehschraube und steckt die Uhr wieder ein.
Der Abt hat den großen glänzenden Kirchenschlüssel unter den Papierstapel entdeckt, greift danach und winkt drohend damit.
ABT: "Was mache ich jetzt mit Ihnen. Bruckner?"
BRUCKNER: "Einfach nur Orgel spielen lassen?"
ABT:
"Nein, nein! Ich habe da meine berechtigten Zweifel, denn Musik darf keine „Angst“ machen, sondern sollte vielmehr den Geist von aller Verwirrung befreien!"
Gut Ding will Weile haben
1996. Als ich 11 Jahre zuvor die Idee hatte, diese außergewöhnliche d-Moll-Symphonie Bruckners nach seinen originären Vorgaben für ein breites Publikum zu visualisieren, war mir noch nicht ganz bewußt, wie viel Geduld man neben der eigentlichen künstlerischen Arbeit aufbringen muß, um so ein nicht ganz alltägliches Projekt zu verwirklichen.
Ich war todunglücklich, als es trotz all meiner intensiven Bemühungen zur tragischen Gewißheit wurde, daß bis zum großen Bruckner-Termin am 11. Oktober 1996 kein wie geplant professionelles, weltweit Aufsehern eregendes Event in seinem Geburtsort mehr auf die Beine gestellt werden konnte. Für ein herkömmliches Open-Air Konzert mit irgendwelchen Wald-und-Wiesen-Bildern im Hintergrund war mir BRUCKNERS NEUNTE selbstredend zu schade.
Mir blieb also nur der steinige Weg zu den Offiziellen, um den Verantwortlichen zu raten, wenn sie nicht zu mehr Eigeninvestition bereit waren, statt dessen an Bruckners Todestag sein wunderbares Requiem in d-Moll zu spielen.
Ein Gutes konnte ich diesen unerfreulichen Umständen trotzdem abgewinnen: Ich war nicht mehr so unter Druck. Jetzt war es mein alleiniges Ding mit Bruckner, meine aus seiner NEUNTEN künstlerisch
kontrafakturierte, höchsteigene
"Sinfonìa visìbile in re minore rigeneratione bruckner", und ich konnte sie in aller Ruhe so fertig stellen, wie es diesem genialen Meisterwerk im Grunde auch zusteht. Ich tröstete mich zudem damit, daß solche außergewöhnlichen Projekte einfach ihre Zeit zum Reifen brauchen, schließlich benötigte selbst ein Bruckner über 10 Jahre seines Lebens, um uns eben diese NEUNTE letztlich trotz allem offiziell und ganz bewußt unvollendbar zu hinterlassen ...
BRUCKNERS
NEUNTE
Ein Gesamtkunstwerk
aus der
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